Distressed M&A oder der Charme des Neuanfangs.

 Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne oder in jedem Ende liegt der Charme des Neuanfangs (sehr frei nach Hermann Hesse).

Distressed M&A oder der Charme des Neuanfangs.

Entsprechend dem Grundgedanken in Hermann Hesses Ausspruch bedeuten die zahlreichen, durch die COVID-19-Pandemie verursachten Unternehmenskrisen nicht nur ein Ende, sondern bieten auch Chancen.

Der Erwerb eines insolvenznahen Unternehmens im Ganzen oder in Teilen – heute allgemein als Distressed M&A bezeichnet – bietet dem Käufer besondere Möglichkeiten. Er kann so seine eigene Marktposition ausbauen, schnell Zugang zu neuen Märkten erhalten oder Know-how und Technologien vergleichsweise günstig Preisen erwerben. Für das krisengebeutelte Unternehmen eröffnet sich andererseits die Chance eines Turnarounds außerhalb einer Insolvenz. Arbeitsplätze können so erhalten werden.. Diesen Chancen stehen allerdings erhebliche Risiken gegenüber. Solche Transaktionen finden unter schwierigen Rahmenbedingungen statt und erfordern sehr gute Vorbereitung sowie ein schnelles Handeln aller Beteiligten.

Asset Deal als häufig bevorzugte Transaktionsform

Für den Erwerb notleidender Zielunternehmen ist der Asset Deal, also der Erwerb aller oder bestimmter Betriebsmittel oder -teile dieses Unternehmens, zumeist das Mittel der Wahl. Sein Vorteil gegenüber einem Share Deal (Erwerb von Unternehmensanteilen) ist in Krisensituationen, nicht das Unternehmen als Ganzes übernehmen zu müssen. Denn damit würde man zudem unrentable oder unnötige Bereiche sowie am Unternehmen hängende Verbindlichkeiten und Haftungsrisiken. Durch den Asset Deal kann eine Fokussierung auf die werthaltigen Vermögengegenstände oder Betriebsteile erfolgen.

Allerdings sind diesem „Cherry-Picking“ in Bezug auf Arbeitnehmer wegen des sog. Betriebsübergangs Grenzen gesetzt. Und das, auch wenn die Möglichkeit sog. Transfer- oder Beschäftigungs- bzw. Qualifizierungsgesellschaften besteht. Gleichzeitig birgt der Asset Deal aber das Risiko des Verlusts wichtiger Mitarbeiter. Zudem können neben den klassischen M&A-Themen wie steuerlichen Risiken, Kartellfreigabe und außenwirtschaftsrechtliche Klärung auch die in einer Krisensituation bestehenden Haftungsrisiken für sog. Altverbindlichkeiten nicht vollständig ausgeschlossen werden. Hierzu gehören insbesondere solche wegen Umweltbelastungen und aus der Fortführung der Firma. Ein weiterer Nachteil des Asset Deals kann darin liegen, dass der Erwerber nicht automatisch in die Vertragsbeziehungen des Unternehmens eintritt, sondern hierfür separate Vertragsübernahmen notwendig sind.

Mögliche Erwerbszeitpunkte

Von erheblicher Bedeutung für eine Distressed M&A ist das Timing, also der Zeitpunkt und die zeitliche Gestaltung des Erwerbs. Konkret wird der Erwerb in drei zeitliche Abschnitte getrennt:

  • vorinsolvenzlich, also nach Auftreten einer wirtschaftlichen Krise, aber noch bevor ein Insolvenzgrund vorliegt,
  • nach Eintritt eines Insolvenzgrundes, aber noch vor der Eröffnung des Insolvenzverfahren (sog. vorläufiges Insolvenzverfahren) und schließlich
  • die Phase nach Eröffnung eines Insolvenzverfahrens (sog. übertragende Sanierung oder „in-court sale“).

Erwerb vor Insolvenzantragsstellung

Für den vorinsolvenzlichen Unternehmenserwerb spricht, dass der (vermeintliche) Makel einer Insolvenz und/oder ein Bieterwettbewerb vermieden werden. Zudem bestehen zumeist noch unbelastete Lieferketten und ein intakter Kundenstamm. Auch die Verhandlungskonstellation ist anders als im vorläufigen oder bereits eröffneten Insolvenzverfahren. Denn mit zunehmender Zahl an Verhandlungsparteien (verschiedene Gläubiger, (vorläufiger) Insolvenzverwalter etc.) tritt eine größere Komplexität bei den Vertragsverhandlungen ein. Die Phase vor Antragstellung ist (noch) vergleichsweise einfach und die Besonderheiten des Insolvenzrechts müssen weitestgehend noch nicht berücksichtiget werden. Nachteil ist, dass sich der Erwerb als „Fass ohne Boden“ herausstellen kann, wenn weiterer Finanzierungsbedarf besteht, der nicht im Vorhinein erkannt wurde.

Insolvenzanfechtung nach §§ 129 ff. InsO

Von einem Erwerb zwischen Eintritt des Insolvenzgrundes und Insolvenzeröffnung ist in aller Regel abzuraten. Eine Anfechtung des Vertrages beziehungsweise der Vermögensübertragung durch den Insolvenzverwalter kann in diesem Fall nämlich als sicher vorausgesetzt werden.

Grund ist der, dass der Asset Deal insgesamt, oder der Erwerb einzelner Vermögensgegenstände, trotz Vollzugs der Anfechtung des Insolvenzverwalters nach §§ 129 ff. InsO unterliegen kann. Das dann, wenn zwischenzeitlich über das Vermögen des Veräußerers ein Insolvenzverfahren eröffnet wurde und tatsächlich bereits Insolvenzgründe bei Erwerb vorlagen. Dabei kommt eine Insolvenzanfechtung nach § 131 InsO wegen der Benachteiligung der Unternehmensgläubiger in Betracht, wenn die Unternehmensveräußerung unter dem Verkehrswert erfolgt ist.

Aber auch bei einem angemessenen Kaufpreis besteht regelmäßig das Risiko einer sog. Deckungsanfechtung nach § 130 InsO. Sie erfolgt dann, wenn der Kauf in den letzten drei Monaten vor Verfahrenseröffnung erfolgt ist und der Erwerber die Zahlungsunfähigkeit des Verkäufers kannte. Ein Unternehmenserwerb kann unter Umständen sogar noch etliche Jahre nach dem Kauf mit der Folge einer Rückabwicklung des Vertrages angefochten werden. Für den Erwerber kommt dann hinzu, dass sein Kaufpreisrückzahlungsanspruch lediglich eine bloße Insolvenzforderung darstellt, auf die er oft lediglich eine geringe Quote zurückerhält.

Erfüllungswahlrecht des Insolvenzverwalters

Auch besteht bei einem noch nicht vollständig vollzogenen Unternehmenskaufvertrag die Gefahr, dass nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Veräußerers bzw. Rechtsträgers des Unternehmens der Insolvenzverwalter die weitere Erfüllung des Unternehmenskaufvertrages ablehnt (§ 103 InsO). Auch in diesem Fall kann der Erwerber seinen Kaufpreisrückzahlungsanspruch und einen möglichen Schadensersatz nur als Insolvenzforderungen nach § 38 InsO geltend machen, was für ihn nicht selten einem wirtschaftlichen Totalausfall gleichkommt.

Minimierung der Risiken

Es sind also Vorsichtsmaßnahmen geboten, um das Insolvenzanfechtungs- und Erfüllungsverweigerungsrisiko des Erwerbers so gering wie möglich zu halten. Dabei kann ein vor Abschluss des Unternehmenskaufvertrages von einem unabhängigen Dritten erstelltes Gutachten über

  • die Angemessenheit des Kaufpreises (z. B. durch eine Fairness Opinion),
  • das Nichtvorliegen der Zahlungsunfähigkeit zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses und
  • das Vorliegen eines aussichtsreichen Sanierungskonzepts helfen, den Vorwurf der Gläubigerbenachteiligung zu entkräften.

Gerade die Erstellung einer Fairness-Opinion bietet Chancen auf einen ausgewogenen Kaufprozess. Schließlich empfiehlt sich ein zeitliches Zusammenfallen von Signing und Closing, um eine zügige Übertragung des Vertragsgegenstandes zu gewährleisten.

Erwerb nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens

Nach Antragstellung und Einleitung des vorläufigen Insolvenzverfahrens finden Unternehmensverkäufe in der Regel nicht statt. Der vorläufige Insolvenzverwalter wird die Möglichkeit vielfach in Betracht ziehen, die Veräußerung vorzubereiten, um das Unternehmen dann nach Verfahrenseröffnung als „voller“ Insolvenzverwalter zu verkaufen. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens liegt nämlich die Verfügungsbefugnis über das Unternehmensvermögen nicht mehr bei den Eigentümern, sondern beim Insolvenzverwalter. So ergeben sich weitere Besonderheiten im Vergleich zur klassischen M&A-Transaktion.

Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens liegt neben den gewonnenen Informationen aus der Due Diligence auch das Eröffnungsgutachten des Insolvenzverwalters vor. Restrukturierungsziele können unter dem Schirm des Insolvenzrechts vielfach leichter und effizienter umgesetzt werden, insbesondere im Bereich des Arbeitsrechts. Allerdings sind an diesem Prozess weitere Parteien beteiligt. Neben Insolvenzverwalter und Käufer selbst sind die Gesellschafter und vor allem die Gläubiger zwingend einzubeziehen. Meistens ist es im Sinne des Insolvenzverwalters, bestimmte Betriebsteile eines Unternehmens in einem geordneten Prozess zu verkaufen. Auch die Gefahr der Anfechtbarkeit vor dem Erwerbsvorgang besteht jetzt nicht mehr. Die Risiken für den Käufer verringern sich. Für Käufer, für die das Unternehmen ein strategisch sinnvolles Ziel darstellt und die ein nachhaltiges Sanierungskonzept mitbringen, eröffnen Insolvenzverfahren gute Chancen, die sie in einem umkämpften Markt auch mit einem gesunden Unternehmen möglicherweise nicht hätten.

Insolvenzverwalter als Verkäufer

Für den Abschluss eines Asset Deals in dieser Phase sprechen neben der Insolvenzfestigkeit des Erwerbs auch die bestehenden Haftungsausschlüsse für Steuern und aus der Firmenfortführung. Auch die mit dem Betriebsübergang arbeitsrechtlich verbundenen Haftungsrisiken für den Erwerber sind nach der Verfahrenseröffnung erheblich geringer. So haftet der Erwerber nur noch für Verbindlichkeiten, die nach Verfahrenseröffnung entstanden sind. Lediglich eine Haftung für Umweltaltlasten besteht weiterhin.

Es ist zu beachten, dass der Insolvenzverwalter regelmäßig keine oder nur sehr wenige Garantien gibt. Für den Erwerber ist deshalb eine gründliche Due Diligence essenziell. Erkannte ebenso wie unerkannte Risiken aus der Due Diligence sollten in der Kaufpreisfindung berücksichtigt und eine Kaufpreisanpassungsmechanik im Unternehmenskaufvertrag vereinbart werden (siehe unten).

Aussonderungs- und absonderungsberechtigte Gläubiger

Die Vermögensgegenstände, die Gegenstand des Asset Deal sind, sind häufig zugunsten einzelner Gläubiger besichert. Auch möglich, dass sie ganz im Gläubigereigentum oder stehen , ohne dabei Sicherungseigentum zu sein. Gläubigern stehen oft sog. Absonderungs- und/oder Aussonderungsrechte zu, die einen nicht unerheblichen Einfluss auf die Transaktion haben können. Sie stehen nicht selten einem störungsfreien Eigentumserwerb und einer korrekten Kaufpreisbestimmung entgegen.

Aussonderungsberechtigte Gläubiger sind berechtigt, die Herausgabe eines Vermögensgegenstandes vom Insolvenzverwalter zu verlangen. Für den Erwerber ist also interessant, welche Gegenstände mit einem Aussonderungsrecht belegt sind. Diese Gegenstände kann er nicht wirksam vom Insolvenzverwalter erwerben. Schutz bietet ihm eine vertragliche Kaufpreisanpassungsregelung. Diese führt zur Kaufpreisreduzierung bei nicht vorhandenen, unerwartet nicht im Eigentum des Insolvenzschuldners stehenden und/oder bei defekten Vermögensgegenständen. Für den Erwerber lohnt es sich, falls er an diesen Vermögensgegenständen interessiert ist, frühzeitig Kontakt zum aussonderungsberechtigten Gläubiger aufzunehmen. Nicht selten hat nämlich auch er ein Interesse am Verkauf an den Erwerber.

Insgesamt bietet der Unternehmenskauf in Krise und Insolvenz Erwerbern zwar besondere Chancen, aber ihm auch erhebliche Risiken. Dabei kommt es auf das Timing an. Zugleich sollte er – gerade bei einem solchen Erwerb – sein Augenmerk auf eine sehr sorgfältige Due Diligence legen. Können Risiken abgeschätzt oder aktiv verringert werden, bietet ein Kauf vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens viele Gestaltungsfreiheiten. Ist die unternehmerische und wirtschaftliche Krise schon fortgeschritten, wird es für den Bestand der Transaktion sicherer sein, den Weg der übertragenden Sanierung zu wählen. So kann ein Käufer die Vorteile des Insolvenzrechts ausschöpfen. Letztlich kann der richtige Zeitpunkt für den Abschluss des Unternehmenskaufvertrages bzw. den Unternehmenskauf in der Krise nicht abstrakt festgelegt werden. Er muss immer den Einzelumständen folgen.

Distressed M&A Transaktionen sind komplex. Sie können zeitkritisch und haftungsträchtig sein. Anwaltliche Transaktionsbegleitung schützt.