Die neuen Fristen und Pflichten im Insolvenzrecht.

 Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts.

Die neuen Fristen und Pflichten im Insolvenzrecht.

Im Fortgang des Jahres 2021 laufen die Aussetzungsregelungen unter dem COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetz (COVInsAG) allmählich aus. Um die Folgen der Covid-19-Pandemie trotzdem weiterhin abzumildern, trat am 1. Januar 2021 das Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (SanInsFoG) in Kraft, dessen Zweck zum einen die Neuregelung der Insolvenzantragspflicht und zum anderen die Umsetzung der europäischen Richtlinie über präventive Restrukturierungsrahmen Nr. 2019/1023 ist.

Eines der wichtigsten Ziele des Insolvenzrechts ist der Schutz der Gläubiger von beschränkt haftenden Rechtssubjekten sowie der allgemeine Schutz des Rechtsverkehrs vor Schädigung durch materiell insolvente, aber beschränkt haftende Gesellschaften. Dazu sieht die Insolvenzordnung (InsO) eine Insolvenzantragspflicht im Falle materieller Insolvenz vor. Es besteht damit für juristische Personen nicht nur das Recht, sondern vor allem die Pflicht, im Insolvenzfalle einen Insolvenzantrag zu stellen. Die Voraussetzungen der Antragspflicht sowie die schadenersatz- und strafrechtlichen Konsequenzen bei Verletzung dieser Pflicht ergeben sich weitestgehend aus dem neu ins Gesetz eingefügten § 15 a InsO. Demnach ist die Geschäftsleitung im Falle der Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft (§ 17 InsO) oder bei Eintritt ihrer Überschuldung (§ 19 InsO) verpflichtet, ohne schuldhaftes Zögern einen Eröffnungsantrag (§ 13 InsO) zu stellen. Wohingegen bei lediglich drohender Zahlungsunfähigkeit (§ 18 InsO) keine Antragspflicht, aber ein Recht zur Stellung eines Insolvenzantrags besteht.

A. Neue Fristen und Prognosezeiträume

Bisher hatte der Insolvenzantrag spätestens drei Wochen nach Eintritt des Insolvenzeröffnungsgrundes aus §§ 17, 19 InsO zu erfolgen. Durch das SanInsFoG ist eine Verdoppelung dieser Frist erfolgt. Der Insolvenzantrag hat nunmehr gemäß § 15 Abs. 1 S. 2 InsO n. F.

  • bei Eintritt der Zahlungsunfähigkeit spätestens nach drei Wochen und
  • bei Eintritt der Überschuldung spätestens nach sechs Wochen

zu erfolgen. Diese Fristverdoppelung soll es ermöglichen, außergerichtliche Verhandlungen zur Behebung der Insolvenz erfolgreich zum Abschluss zu bringen und präventive Restrukturierungsmaßnahmen oder eine Eigenverwaltung gewissenhaft vorbereiten zu können.

Des Weiteren gehen mit dem SanInsFoG neue Prognosezeiträume für die Insolvenzgründe der drohenden Zahlungsunfähigkeit (§ 18 InsO) und der Überschuldung (§ 19 InsO) einher.

I. Drohende Zahlungsunfähigkeit (§ 18 InsO n. F.)
Der Prognosezeitraum für die drohende Zahlungsunfähigkeit wird nun auf vierundzwanzig Monate festgelegt, § 18 Abs. 2 S. 2 InsO n. F. Zusätzlich wurde mit dem SanInsFoG bei lediglich drohender Zahlungsunfähigkeit nach § 18 InsO n. F. erstmals die Möglichkeit eines außerinsolvenzlichen Sanierungsverfahrens, des sog. StaRUG-Verfahrens, anstatt eines (klassischen) Insolvenzverfahrens eingeführt. (dazu unten Ziff. B. mehr).

II. Überschuldung (§ 19 InsO n. F.)
Der Zeitraum für die Fortführungsprognose im Rahmen der Überschuldungsfeststellung wird auf zwölf Monate festgelegt (§ 19 Abs. 2 S. 1 InsO n. F.), anstatt der bisherigen (anhand von IDW S 11) zugrunde gelegten vierundzwanzig Monate.

Zusätzlich ist im Zeitraum zwischen 1. Januar und 31. Dezember 2021 nach § 4 CovInsAG unter Umständen ein sogar noch kürzerer Zeitraum von lediglich vier Monaten zugrunde zu legen, sofern die Überschuldung des Schuldners auf die Covid-19-Pandemie zurückzuführen ist. Dies wird gesetzlich vermutet, wenn der Schuldner (1.) am 31. Dezember 2019 weder zahlungsunfähig noch überschuldet war und (2.) im letzten, vor dem 1. Januar 2020 abgeschlossenen Geschäftsjahr ein positives Ergebnis aus der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit erwirtschaftet hat sowie (3.) der Umsatz aus der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit im Kalenderjahr 2020 im Vergleich zum Vorjahr um mehr als 30 Prozent eingebrochen ist.

III. Aktuell keine Frist wegen Aussetzung der Antragspflicht
Darüber hinaus kommt (derzeit) bis zum 30. April 2021 nach § 1 Abs. 3 CovInsAG auch eine generelle Aussetzung der Insolvenzantragspflicht in Betracht, wenn (1.) bis zum 28. Februar 2021 die Gewährung finanzieller Hilfeleistungen beantragt wurde oder wird, es sei denn eine Antragstellung war aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht möglich, und (2.) die Antragstellung auf Hilfeleistung nicht aussichtslos oder für die Beseitigung der Insolvenzreife unzureichend ist.

IV. Folgen des CovInsAG
Nach Ende der Aussetzungsfrist des § 1 CovInsAG soll die dreiwöchige Frist nach § 15 a Abs. 1 InsO n. F. zur Antragstellung neu beginnen, wenn Sanierungs- oder Finanzierungsbemühungen zu diesem Zeitpunkt noch laufen sollten. War die Aussicht auf Wiederherstellung der Zahlungsfähigkeit demgegenüber vor Fristablauf bereits entfallen, ist unverzüglich nach Fristende Eröffnungsantrag zu stellen.

B. StaRUG-Verfahren

Zusätzlich ist mit dem SanInsFoG erstmals ein außerinsolvenzliches Sanierungsverfahren nach Maßgabe des Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz (StaRUG), kurz StaRUG-Verfahren genannt, eingeführt worden. Zugleich führt das StaRUG zu einer Neuausrichtung der Geschäftsleiterpflichten. Nach § 1 Abs. 1 StaRUG müssen die Geschäftsleiter haftungsbeschränkter Unternehmen (insbesondere Unternehmergesellschaft, GmbH und Aktiengesellschaft) nunmehr fortlaufend über Entwicklungen, welche den Fortbestand dieser Gesellschaft gefährden können, wachen.

Beim StaRUG-Verfahren handelt es sich um ein in eigener Verantwortung (vergleichbar der Eigenverwaltung nach §§ 270 ff. InsO) geführtes Sanierungsverfahren. Grundlage dessen ist ein detaillierter Restrukturierungsplan, der einzelnen Gläubigergruppen und/oder Anteilsinhabern gesondert zur Abstimmung gestellt wird. Voraussetzungen für die Verfahrenseinleitung sind lediglich (1.) die Anzeige des Schuldners bei Gericht, (2.) die Vorlage eines Restrukturierungsplans und (3.) der Nachweis der drohenden Zahlungsunfähigkeit.

C. Haftung der Geschäftsleitung

Eine weitere Neuerung durch das SanInsFoG betrifft die Ersatzpflicht der Geschäftsleitung für masseschädliche Zahlungen nach Eintritt der Insolvenzreife (§ 15 b InsO). Diese korrespondiert mit der eingangs beschriebenen Insolvenzantragspflicht (§ 15 a InsO).

Dazu wurden die über verschiedene Gesetze verstreuten Regelungen zur Haftung der Unternehmensleitung (z. B. § 64 S. 1 GmbHG, § 92 Abs. 2 AktG oder §§ 130 a, 177 a HGB) nunmehr rechtsformunabhängig und sprachlich modernisiert in § 15 b InsO (mit einigen Modifikationen) zusammengeführt und die bisherigen spezialgesetzlichen Regelungen gestrichen.

Unverändert gilt dabei auch unter Geltung des § 15 b Abs. 1 InsO, dass die Geschäftsleitung nach Eintritt von Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit keine Zahlungen mehr aus dem Gesellschaftsvermögen leisten darf. Neu ist jedoch die gesetzlich geregelte Konkretisierung des Maßstabs eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters nach Eintritt der Insolvenzreife in § 15 b Abs. 2 InsO, wobei die damit einhergehende Ersatzpflicht für verbotswidrige Zahlungen mit § 15 b Abs. 3 InsO erhalten bleibt. Privilegiert sind nun lediglich Zahlungen, die (1.) im ordnungsgemäßen Geschäftsgang, insbesondere zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs, (2.) innerhalb der Frist zur Antragstellung nach § 15 a InsO und (3.) zur nachhaltigen Beseitigung der Insolvenzreife oder Vorbereitung eines Insolvenzantrags mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters erfolgen. Darüber hinaus sind auch solche Zahlungen zwischen Insolvenzantrag und Insolvenzeröffnung privilegiert, die mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters erfolgen. Nicht mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar sind demgegenüber nach § 15 b Abs. 3 InsO Zahlungen nach Ablauf der Antragsfrist.

Um die Haftungsrisiken für die Geschäftsleitung in Bezug auf steuerrechtliche Zahlungspflichten zwischen Antragstellung und Entscheidung des Insolvenzgerichts über die Insolvenzeröffnung zu vermeiden, sieht § 15 b Abs. 8 InsO vor, dass bei rechtzeitiger Antragstellung keine Verletzung steuerrechtlicher Zahlungspflichten nach § 69 Abs. 1 AO (gegebenenfalls i. V. mit §§ 34, 35 AO) gegeben ist, wenn in diesem Zeitraum Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis nicht oder nicht rechtzeitig erfüllt werden.

Eine weitere Neuerung schafft das SanInsFoG in Bezug auf den Haftungsumfang. Die Geschäftsleitung kann nunmehr die Vermutung eines Gesamtgläubigerschadens in Höhe der verbotswidrigen Zahlungen widerlegen und haftet damit lediglich noch in Höhe des der Gläubigerschaft tatsächlich entstandenen Schadens. Allerdings muss die Geschäftsleitung dafür nach § 15 b Abs. 4 InsO nachweisen, dass der tatsächliche Schaden geringer ist als die Gesamthöhe der geleisteten Zahlungen. Zudem wird teilweise die Meinung vertreten, dass aus der Neuformulierung des § 15 b Abs. 4 InsO, der von einem Schaden der Gläubigerschaft spricht, folge, die Ersatzpflicht sei nunmehr als Schadensersatzanspruch ausgestaltet und daher von einer D&O-Versicherung abgedeckt.

Für die Praktiker interessant ist schließlich, dass durch die zentrale Normierung der Unternehmensleiterhaftung wegen verspäteter Insolvenzantragsstellung ein Zuständigkeits-wechsel stattgefunden hat. Die neuen Fälle des § 15 b InsO werden zukünftig vom IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) zu entscheiden sein. Ob damit auch eine Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung des II. Zivilsenates zur Haftung nach § 64 S. 1 GmbHG, § 92 Abs. 2 AktG oder §§ 130 a, 177 a HGB einhergeht, bleibt freilich abzuwarten.

Die Covid-19-Pandemie ist noch immer nicht bewältigt und ein Ende derzeit nicht absehbar. Erwartungsgemäß wurden daher nicht nur die Laufzeit der staatlichen Hilfsmaßnahmen verlängert, sondern auch präventive Restrukturierungsmaßnahmen erleichtert. Dabei hat sich der Gesetzgeber um eine differenzierte Lösung bemüht. Dies zeigt sich insbesondere an der Verlängerung des Aussetzungszeitraum lediglich bis zum 30. April 2021 sowie der Ausklammerung des Insolvenzgrundes „Zahlungsunfähigkeit“ aus den Neuregelungen. Ob diese Maßnahmen allerdings ausreichend sein werden, die Folgen der Covid-19-Pandemie auf lange Sicht abzuschwächen, bleibt abzuwarten.

Angesichts der ständigen Neuerungen und vielen Ausnahmen empfehlen wir daher sämtlichen Parteien eines drohenden Insolvenzverfahrens, sich frühzeitig über ihre Pflichten, aber auch Rechte und Möglichkeiten beraten zu lassen.