Die große Unbekannte: Insolvenzanfechtung

Die große Unbekannte: Insolvenzanfechtung

Die für Geschäftspartner (Gläubiger) eines bankrotten Kaufmanns oder Unternehmens (Schuldner) bereits an sich schlechte Situation wird durch das Recht des Insolvenzverwalters zur Insolvenzanfechtung nach §§ 129 ff InsO vielfach erst richtig ärgerlich. Insolvenzanfechtung bedeutet, dass derjenige, der vorinsolvenzlich noch Leistungen oder auch nur Sicherheiten vom Schuldner erhalten hat, gezwungen sein kann, diese zur Befriedigung der Gläubigergesamtheit wieder herausgeben zu müssen.

Wenn Insolvenz droht

Zu allen Zeiten und an allen Orten haben Kaufleute und Unternehmen, angesichts ihrer sich düster am Horizont abzeichnenden Insolvenz versucht, wenigstens ein paar (zumeist wertvolle) Vermögensgegenstände an bestimmte (nicht selten nahestehende) Personen zu übertragen. Sie wollten damit dieses Vermögen aus ihrem haftenden Vermögen in das eines anderen zu transferieren. Wenigstens genauso alt ist das spiegelbildliche Verhaltensmuster: Viele Gläubiger versuchen, sobald sie von einer sich abzeichnenden Insolvenz ihres Schuldners erfahren, ihn unter Druck zu setzen und zu einer Befriedigung oder wenigstens einer Sicherheit noch vor Insolvenzverfahrenseröffnung zu drängen.

I. Zweck der Insolvenzanfechtung

Sinn und Zweck des Insolvenzverfahrens ist die gemeinschaftliche Befriedigung aller Gläubiger (§ 1 S. 1 Insolvenzordnung – InsO). Ziel ist es, das verbleibende Vermögen des Schuldners und auch die Verluste gerecht, nämlich quotal nach dem Verhältnis der Gläubigerforderungen zur vorhandenen Insolvenzmasse und nicht (mehr) nach dem Prioritätsprinzip zu verteilen (sog. Gläubigergleichbehandlung).

Nach der Insolvenzeröffnung wird die Schmälerung der Insolvenzmasse insbesondere durch die Verfügungsbeschränkung des Schuldners und das Vollstreckungsverbot der Gläubiger (vgl. §§ 81 ff. InsO) verhindert. Vor der Insolvenzeröffnung bestehen derartige Beschränkungen jedoch nicht. Die gemeinschaftliche Befriedigung und Verteilung der Verluste wird beeinträchtigt, wenn einzelne Gläubiger kurz vor Insolvenzeröffnung noch eine Befriedigung für ihre Forderungen erhalten. Und das, obwohl ihnen bereits bekannt ist oder hätte sein können, dass der Schuldner insolvent ist. Solche Beeinträchtigungen können allerdings durch eine Insolvenzanfechtung des Insolvenzverwalters nach §§ 129 bis 147 InsO annulliert bzw. rückabgewickelt werden. Das erstaunt vielfach die begünstigten Gläubiger.

II. Voraussetzungen der Insolvenzanfechtung

Neben einem Anfechtungsgrund muss für jede Insolvenzanfechtung (1.) eine vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommene Rechtshandlung erfolgt sein, welche (2.) die Gläubiger benachteiligt.

1. Rechtshandlung, § 129 InsO
Rechtshandlung i. S. des § 129 InsO ist jedwedes Tun oder Unterlassen, welches Rechtswirkungen nach sich zieht, unabhängig davon, ob diese gewollt sind oder nicht. Anfechtbar sind demnach:

  • Rechtsgeschäfte (z.B. Veräußerung von Gegenständen und Rechten, Kündigungen oder Verzichte);
  • Rechtsgeschäftsähnliche Handlungen (z.B. Mahnungen);
  • Prozesshandlungen (z.B. Anerkenntnisse nach § 307 ZPO, Hinnahme eines Versäumnisurteils);
  • Rechtshandlungen von Gläubigern sind z.B. Zwangsvollstreckungsmaßnahmen.

2. Gläubigerbenachteiligung
Zudem muss durch diese Rechtshandlung gerade eine Befriedigung der übrigen Insolvenzgläubiger beeinträchtigt werden. Dies ist der Fall, wenn die Befriedigungsmöglichkeiten der Gläubiger verkürzt, vereitelt, erschwert, gefährdet oder verzögert werden. Das gilt, wenn also Vermögen des Schuldners vermindert oder dessen Verbindlichkeiten vermehrt wurden. Keine Benachteiligung liegt vor, wenn wertloses oder wertübersteigend belastetes Vermögen des Schuldners übertragen wird. Eine Gläubigerbenachteiligung fehlt auch, wenn der Schuldner für die Vermögensweggabe unmittelbar eine gleichwertige Gegenleistung erhalten hat (§ 142 InsO).

III. Anfechtungsgründe

Einer der in §§ 130 bis 136 InsO abschließend genannten Anfechtungsgründe ist erforderlich.

1. Kongruenzanfechtung, § 130 InsO
Grundgedanke der Insolvenzanfechtung nach § 130 InsO ist es, dass derjenige, der die Krise kennt, keinen Schutz verdient. Erhält nämlich der Gläubiger die Schuldnerleistung in den letzten drei Monaten vor der Insolvenz, gilt dies selbst dann, wenn es sich um eine kongruente Leistung handelt. Eine Leistung also, die dem Gläubiger in zeitlicher wie inhaltlicher Hinsicht genau die geschuldete Sicherung oder Befriedigung verschafft oder ermöglicht hat.

Voraussetzung für eine Anfechtung nach § 130 InsO ist, dass in dem maßgeblichen Leistungszeitraum der letzten drei Monate vor dem Insolvenzantrag der Schuldner bereits zahlungsunfähig war und der Gläubiger das auch wusste. Ausreichend dafür ist bereits die Gläubigerkenntnis von Umständen, die zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit oder den Eröffnungsantrag schließen lassen. Bei Leistungen an dem Schuldner nahestehende Personen (z.B. Ehegatten, Kinder etc.) wird eine solche Kenntnis sogar gesetzlich vermutet.

Erfolgt die Leistung hingegen erst nach dem Insolvenzantrag, reicht für eine Anfechtung nach § 130 InsO die Kenntnis vom Insolvenzantrag oder der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners aus.

2. Inkongruenzanfechtung, § 131 InsO
Bei inkongruenten Leistungen, d.h. solchen, bei denen sich die vertraglich geschuldete Leistung und die konkret erbrachte Leistung nicht decken, muss der Gläubiger aufgrund dieser Inkongruenz Verdacht schöpfen. Erfahrungsgemäß gewährt ein Schuldner regelmäßig einzig das, was er auch vertraglich schuldet. Inkongruenz ist somit ein deutliches Zeichen für die Krise des Schuldners. Dementsprechend sind inkongruente Leistungen nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO ohne Weiteres anfechtbar. Allerdings müssen sie im letzten Monat vor dem Insolvenzantrag erfolgt sein. Sind sie im zweiten oder dritten Monat vor dem Insolvenzantrag erfolgt, so muss der Schuldner zusätzlich entweder bereits objektiv zahlungsunfähig gewesen sein oder dem Gläubiger muss der Eintritt einer Gläubigerbenachteiligung bekannt gewesen sein.

3. Unmittelbarkeitsanfechtung, § 132 InsO
Zudem ermöglicht § 132 InsO die Anfechtung sämtlicher in der Krise des Schuldners vorgenommenen Handlungen, für welche keine ausreichende Gegenleistung erfolgt ist (sog. Verschleuderungsgeschäfte). Erforderlich ist jedoch eine unmittelbare Benachteiligung, d.h. die Benachteiligung muss sich unmittelbar aus der Vornahme des Geschäfts ergeben.

4. Vorsatzanfechtung, § 133 InsO
Anfechtbar sind Rechtshandlungen des Schuldners mit einer Rückwirkung von bis zu zehn Jahren (!) vor Antragstellung, die er mit dem Vorsatz vorgenommen hat, seine Gläubiger zu benachteiligen. Zusätzlich muss der Leistungsempfänger für die Vorsatzanfechtung Kenntnis von diesem Schuldnervorsatz gehabt haben.

Wenn dem Leistungsempfänger Umstände bekannt gewesen sind, die zwingende Rückschlüsse auf die wirtschaftliche Lage des Schuldners zuließen, hatte er Kenntnis. Der Leistungsempfänger kann sich jedoch damit entlasten, dass er etwa einen zwischenzeitlichen und vollständigen Ausgleich aller Gläubigerforderungen, Aussagen des Schuldners über eine günstige Auftragslage oder Pressemitteilungen über den Einstieg neuer Investoren darlegt.

5. Schenkungsanfechtung, § 134 InsO
Anfechtbar sind auch alle unentgeltlichen Leistungen des Schuldners innerhalb der letzten vier Jahre vor dem Insolvenzantrag. Das sind Leistungen ohne objektiv ausgleichenden Gegenwert. Zusätzliche subjektive Voraussetzungen gibt es bei dieser Insolvenzanfechtungsart nicht, weil derjenige, der etwas unentgeltlich erlangt, also als Geschenk oder ohne Gegenleistung, weniger schutzwürdig ist.

6. Sonstige Anfechtungsgründe
Die übrigen Anfechtungsgründe der §§ 135, 136 und 137 InsO stehen vor allem im Zusammenhang mit der Pflicht der Gesellschafter zur Kapitalerhaltung ihrer Gesellschaft und betreffen nicht die alltägliche Situation des Warenverkehrs.

IV. Allgemeine Regelungen der Anfechtung

1. Fristberechnung
Fristen spielen im Rahmen der Insolvenzanfechtung eine wichtige Rolle. § 139 InsO regelt die Berechnung vor dem Insolvenzantrag. Bei mehreren Insolvenzanträgen ist für die Fristberechnung gemäß § 139 Abs. 2 S. 1 InsO auf den ersten zulässigen und begründeten Antrag abzustellen. Ein rechtswirksam für erledigt erklärter oder zurückgenommener Insolvenzantrag ermöglicht zudem keine Insolvenzanfechtung mehr. Nach Stellung des Insolvenzantrags ist gemäß § 146 InsO, § 195 BGB binnen drei Jahren Klage zu erheben (Verjährungsfrist). Die Anfechtung kann im Wege der Einrede jedoch auch noch nach Ablauf dieser Verjährungsfrist gemäß § 146 Abs. 2 InsO erfolgen.

2. Nahestehende Personen
Für den Nachweis der Krisenkenntnis des Leistungsempfängers ist entscheidend, ob der Schuldner mit einer nahestehenden Person oder einem Fremden kontrahiert hat. Bei nahestehenden Personen i.S. des § 138 InsO gilt nämlich die (aber widerlegbare) Vermutung, dass sie die schlechte finanzielle Lage des Schuldners kannten.

3. Wissenszurechnung
Eine wichtige Rolle spielt zudem die Wissenszurechnung bei der Person des Anfechtungsgegners. Diesem wird nach § 166 BGB die Kenntnis seiner Vertreter zugerechnet, bei juristischen Personen entsprechend das Wissen ihrer Organe. Eine Wissenszurechnung erfolgt darüber hinaus, wenn einer Person die relevanten Vorgänge mit einer gewissen Selbstständigkeit übertragen wurden, um so eine Anfechtung nicht an einer geschickten Arbeitsaufteilung scheitern zu lassen.

4. Anfechtungsausschluss bei Bargeschäften, § 142 InsO
Jede Anfechtung ist aber gemäß § 142 InsO ausgeschlossen, wenn es sich um ein sog. Bargeschäft handelt. Hierunter ist ein Geschäft zu verstehen, bei dem die vertraglich konkret geschuldeten Leistungen, welche zudem gleichwertig sein müssen, in einem unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang (i. d. Regel 30 Tage) ausgetauscht wurden. Hintergrund ist, dass es sich durch die Gleichwertigkeit der Leistungen um einen reinen Austausch von Vermögenswerten handelt, d.h. das Vermögen wird nicht gemindert und die Gläubiger nicht benachteiligt. Einzige Ausnahme ist, wenn der Schuldner trotz der Gleichwertigkeit unlauter handelt und dies dem Leistungsempfänger auch bewusst ist.

V. Form der Anfechtung

Die Anfechtung erfolgt durch:

  • Aufforderung des Insolvenzverwalters gegenüber dem Gegner, den Gegenstand zur Masse zurückzugeben,
  • Erhebung einer Klage oder
  • Erhebung einer Einrede.

Der Insolvenzverwalter muss sich dabei selbst Kenntnis von anfechtbaren Vorgängen beim Schuldner verschaffen. Er hat keinen einklagbaren Auskunftsanspruch gegen Geschäftspartner des Schuldners, solange lediglich ein Anfechtungsverdacht besteht. In Betracht kommt allerdings die Vernehmung von Zeugen durch das Insolvenzgericht, §§ 4, 5 InsO.

VI. Rechtsfolgen, §§ 143 bis 146 InsO

Bei erfolgreicher Insolvenzanfechtung des Insolvenzverwalters muss der Leistungsempfänger die erlangte Leistung zurückgewähren (§ 143 Abs. 1 InsO). Dies hat grundsätzlich in natura zu erfolgen, lediglich bei Unmöglichkeit ist Geldersatz zu leisten. Dem Gläubiger ist es zudem grundsätzlich nicht möglich, sich auf den Einwand der Entreicherung zu berufen.

Daraus folgt, dass die bereits erfüllte Forderung des Gläubigers gemäß § 144 Abs. 1 InsO wieder auflebt und somit zur Insolvenztabelle angemeldet werden kann. Der Gläubiger erhält dann hierauf die Quote, die auch alle anderen Gläubiger erhalten, wodurch gerade der Sinn und Zweck der Insolvenzanfechtung, nämlich die Gläubigergleichbehandlung erfüllt wird.

VII. Insolvenzanfechtung und Covid-19

Das Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie vom 27. März 2020 (COVInsAG, BT-Drs. 19/18110) umfasst auch Regelungen zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht und zur Begrenzung der Organhaftung bei einer durch Covid-19-Pandemie bedingten Insolvenz. Nach §§ 1, 2 Abs. 1 Nr. 1 COVInsAG sind die Insolvenzantragspflicht und die Zahlungsverbote vorläufig bis zum 30. September 2020 ausgesetzt, es sei denn, die Insolvenz beruht nicht auf den Auswirkungen der Covid-19-Pandemie oder es besteht von vornherein keine Aussicht auf die Beseitigung einer eingetretenen Zahlungsunfähigkeit.

Liegen die Voraussetzungen der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht vor, wird zudem gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 2 COVInsAG auch das Risiko einer künftigen Insolvenzanfechtung weitgehend ausgeschlossen. Demnach gelten die bis zum 30. September 2023 erfolgende Rückgewähr eines im Aussetzungszeitraum gewährten neuen Kredits sowie die im Aussetzungszeitraum erfolgte Bestellung von Sicherheiten zur Absicherung solcher Kredite als nicht gläubigerbenachteiligend. Eine Anfechtung scheidet somit von vornherein aus.

Kongruente Rechtshandlungen sind dann in einem späteren Insolvenzverfahren nicht mehr anfechtbar. Dies gilt nicht, wenn dem anderen Teil bewusst war, dass die Sanierungs- und Finanzierungsbemühungen des Schuldners nicht zur Beseitigung einer eingetretenen Zahlungsunfähigkeit geeignet gewesen sind, also wenn der Gläubiger positiv von der objektiven Ungeeignetheit der Maßnahmen wusste. Umfasst sind ausweislich der enumerativen Aufzählung in § 2 Abs. 1 Nr. 2 COVInsAG zudem auch:

  • Leistungen an Erfüllung statt oder erfüllungshalber, Zahlungen durch einen Dritten auf Anweisung des Schuldners,
  • die Bestellung einer anderen als der ursprünglich vereinbarten Sicherheit, wenn diese nicht werthaltiger ist
  • sowie die Verkürzung von Zahlungszielen und die Gewährung von Zahlungserleichterungen und damit teilweise auch inkongruente Leistungen sowie die Vorsatzanfechtung nach § 133 Abs. 3 S. 2 InsO.

Anlässlich der aktuellen wirtschaftlichen Lage in Bezug auf Covid-19 bleibt abzuwarten, ob das Thema der Insolvenzanfechtung (wieder) an Bedeutung zunehmen wird. Sämtlichen Parteien eines drohenden Insolvenzverfahrens ist zu raten, sich frühzeitig über ihre Rechte und Möglichkeiten beraten zu lassen. Dies gilt besonders für die Forderungssicherung und -durchsetzung. Optimal ist allerdings, bereits außerhalb einer erkennbaren Krise insolvenzfeste Regelungen zu treffen – und dies in Pandemiezeit mehr denn je.